Therapeutische Standards für das Kognitive Training / Hirnleistungstraining

(unkorrigierte Vorfassung des im Mai 2002 in der Zeitschrift „Ergotherapie & Rehabilitation“ erschienen Artikels „Therapeutische Standards für das Hirnleistungstraining/kognitive Training“ von Dr. med. Sabine Ladner-Merz, Dr. med. Anette Konzelmann und Sibylle Dantz) Die Verschreibungsmöglichkeiten für Hirnleistungstraining / kognitives Training wurden in den neuen Heilmittel-Richtlinien für die Ergotherapie, die im Juli 2001 Gültigkeit erlangten, wesentlich ausgeweitet und präzisiert. Vorausgegangen war die Anerkennung von Funktions-training basaler kognitiver Funktionen, wie Wahrnehmung, räumliche Orientierung, Gedächtnis, Informationsverarbeitung, Handlungssteuerung oder Aufmerksamkeit und die Anerkennung des Trainings komplexer kognitiver Prozesse wie z.B. der geteilten Aufmerksamkeit, der Vigilanz, dem Problemlösen oder Planen als wirksames neuropsychologisches Therapieverfahren durch den Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie der Bundesärztekammer im Juni 2000. Gemäß den neuen Heilmittel-Richtlinien wird Hirnleistungstraining / Kognitives Training durch Verbesserung kognitiver Funktionen als Grundlage der menschlichen Denk-, Kommunikations- und Handlungsfähigkeit bei Schädigung von kognitionsstützenden und höheren kognitiven Funk-tionen eingesetzt zur Verbesserung
Therapeutische Standards für das Kognitive Training/Hirnleistungstraining mit Beispiel einer Methode, die alle Standards erfüllt
der Selbständigkeit in der altersentsprechenden Versorgung, der Belastungsfähigkeit und Ausdauer,
  • im Verhalten und in den zwischenmenschlichen Beziehungen,
  • der sozio-emotionalen Kompetenzen und der Interaktionsfähigkeit,
  • des situationsgerechten Verhaltens,
  • der Beziehungsfähigkeit,
  • zum Erlernen von Kompensationsmechanismen,
  • zur Verbesserung der Tagesstrukturierung,
  • zum Erhalt und zur Verbesserung kognitiver Funktionen, der Selbstversorgung und damit
  • zur Verbesserung der eigenständigen Lebensführung,
  • zur Verbesserung der Orientierung in Raum, Zeit und zu Personen.
  • Dabei ist es vorrangiges Heilmittel
    • bei angeborenen oder früherworbenen Hirnschädigungen und Entwicklungsstörungen,
    • bei Schädigungen des Gehirns nach Abschluss der Hirnreife (traumatisch, degenerativ, entzündlich, vaskulär, tumorös, hypoxisch, metabolisch und damit z.B. bei Schädel-hirntrauma, Morbus Parkinson, Multipler Sklerose, Apoplex, Hirnblutung, intraze-rebralem Tumor),
    • bei geistigen und psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter,
    • bei psychischen und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen (z.B. bei Ab-hängigkeitssyndrom) und
    • bei dementiellen Syndromen im Anfangsstadium wie z.B. Morbus Alzheimer oder Demenzen anderer Ätiologie.
    Dabei kann Hirnleistungstraining / Kognitives Training auch längerfristig verordnet werden. Als Therapiefrequenzempfehlung gilt mindestens 1x pro Woche, z.T. als Gruppentraining (z.B. bei Abhängigkeitssyndrom). Bei Schizophrenie, schizotypen und wahnhaften Störungen stellt Hirnleistungstraining und damit das Training kognitiver Funktionen ein optionales Heilmittel dar, das ebenfalls länger-fristig verordnungsfähig ist. Die neuen Heilmittel-Richtlinien spiegeln damit die gestiegene Bedeutung eines Trainings kognitiver Funktionen wider, wie sie dem derzeitigen Stand der medizinischen und psycholo-gischen Forschung entspricht. Aus ärztlicher Sicht ist es daher notwendig, einer historisch gewachsenen, jedoch nicht mehr zeitgemäßen therapeutischen Beliebigkeit im Bereich Kognitives Training / Hirnleistungstraining entgegenzutreten und therapeutische Standards für ein solches Training zu formulieren und darzulegen: Anwendung evaluierter Therapieverfahren Aus ärztlicher Sicht ist die Anwendung evaluierter Therapieverfahren, also auf ihre Wirk-samkeit hin wissenschaftlich überprüfter Verfahren, auch und gerade im Bereich Hirnleis-tungstraining / Kognitives Training unabdingbar. Nur evaluierte Therapieverfahren ge-währleisten das notwendige Maß an Therapiesicherheit, d. h. dass das angestrebte therapeu-tische Ziel mit den gewählten Mitteln und Methoden auch erreicht werden kann. Weiterhin gebietet die therapeutische Ethik gegenüber dem Patienten, dass man ihn nur mit nach-weislich wirksamen Verfahren behandelt und gegenüber der Gemeinschaft, dass sie nur finanzieren muss, was auch wirkt. Ein evaluiertes Therapieverfahren erfüllt daher auch die Forderung der Krankenkassen nach Wirtschaftlichkeit. Weiterhin muss ein therapeutisches Verfahren nachvollziehbar sein. Das bedeutet, dass der verordnende Arzt wissen muss, womit und wie therapiert wird. Daneben müssen Reproduzierbarkeit und Qualitätssicherung gewährleistet sein, d.h. der Patient muss immer eine wirksame Therapie erhalten, unabhängig davon, welcher Therapeut ihn behandelt und an welcher Einrichtung des Gesundheitswesens dies geschieht. Auch diese Forderung wird nur von evaluierten Therapieverfahren erfüllt. Darüber hinaus stellt der Einsatz einer evaluierten Therapie auch einen großen Vorteil für den/die TherapeutInnen dar. Sie können einen möglichst großen Anteil ihrer zur Verfügung stehenden Zeit mit und am Patienten verbringen und werden damit zeitlich von der Erstellung irgendwelchen nicht evaluierten Therapiematerials entlastet. Weiterhin bedeutet die Verwendung eines evaluierten Verfahrens auch eine qualitative Entlastung, denn der Thera-peut selbst ist nicht mehr direkt für den unmittelbaren Erfolg „seiner“ Therapie verantwortlich, da das verwendete Therapiematerial und -verfahren ja bereits evaluiert ist. Die Ursache für einen möglicherweise sich erst verspätet einstellenden Therapieerfolg liegt also nicht an irgendeinem vom Therapeuten selbst möglicherweise nicht optimal erstellten Therapiematerial oder an einer nicht standardisierten Vorgehensweise „aus dem Bauch heraus“, sondern kann dann an anderer Stelle wie beispielsweise zu geringer Therapiefrequenz gesucht werden. Daraus folgt, dass für das Hirnleistungstraining / Kognitive Training nur evaluierte Therapieverfahren unter Verwendung evaluierter Therapiematerialien anzuwenden sind, die ja verfügbar sind und die auch die Grundlage der Anerkennung als wirksames Heil-mittel darstellen. Förderung von fluider und kristallisierter Intelligenz Im Alter entwickeln sich verschiedene kognitive Fähigkeiten unterschiedlich. So nimmt, wie Horn und Catell bereits in den sechziger Jahren zeigen konnten, die kristallisierte Intelligenz im Alter zu, während die fluide Intelligenz abnimmt (Horn und Catell, 1966). Dabei kann eine gut entwickelte kristallisierte Intelligenz Defizite der fluiden Intelligenz ausgleichen. Daraus folgt, dass ein kognitives Training für Erwachsene sowohl die fluide als auch die kristallisierte Intelligenz fördern muss, um optimale Ergebnisse der geistigen Förderung erzielen zu können. Kognitives Training / Hirnleistungstraining in der Therapie sollte also nachweislich und damit evaluiert beide Intelligenzformen fördern. Auch folgt daraus, dass Methoden, die nur einseitig Hirnleistungen fördern, diesen Anspruch nicht erfüllen. Ein eingesetztes Therapieverfahren sollte also möglichst breit möglichst viele kognitive Funktionen fördern. Kein Stress oder Leistungsdruck, niemals Schule, niemals Quiz Bei der Durchführung eines kognitiven Trainings ist in jedem Falle darauf zu achten, keinerlei Stress oder Leistungsdruck auszuüben bzw. zu verursachen. Neuere wissenschaftliche Unter-suchungen zeigen eindrucksvoll, dass hohe Kortisonspiegel, wie sie in Stresssituationen auf-treten, den Abruf von Informationen aus dem deklarativen Gedächtnis erschweren (Rüegg, 2001). Wenn man also das Denken und damit kognitive Funktionen fördern möchte, ist es äußerst kontraproduktiv, den Patienten in Stress zu versetzen. Daher sollten keine zeitlichen Vorgaben gemacht werden, Konkurrenzsituationen sind ebenso zu vermeiden wie Ab-fragesituationen, quiz- oder dressurartiges Vorgehen (Bauer, J. 1995). Nach Bauer, 1994 können Aktivierungsmaßnahmen unter Leistungsdruck den Zustand von Patienten weiter ver-schlechtern (Bauer, J., 1994). Vielerorts anzutreffende „Arbeitsbögen“ für Patienten mit sei-tenweise an Schule erinnernden Übungen oder Rechnungen sind daher ebenso abzulehnen wie jedes Vorgehen in schulischer Manier (niemals Abfragerei, keine Dressur). Es ergibt sich die zentrale Forderung, im Rahmen eines kognitiven Trainings / Hirnleistungstrainings niemals Schule und niemals Quiz „zu veranstalten“. Dies erweist sich manchmal als schwieriger, als man denkt, da sich das Gehirn ja nur über Fragen zum Denken anregen lässt und uns Therapeuten Schule und Quiz als Situationen, in denen Fragen gestellt werden, nur allzu vertraut sind. Solche Situationen sind fast schon automatisiert in unserem eigenen prozeduralen Gedächtnis gespeichert, so dass wir immer in Gefahr sind, unversehens schulisch zu agieren, wenn es darum geht, Fragen zu stellen. Hier gilt es, das eigene therapeutische Vorgehen stets mit Hilfe besonderer pädagogischer Ansätze für das kognitive Training zu kontrollieren und ggf. zu korrigieren. Erfolgserlebnisse vermitteln Erfolgserlebnisse sind unabdingbare Voraussetzung, will man therapeutisch Defizite bearbeiten. Erfolgserlebnisse ermutigen den Patienten und befähigen ihn erst, auch Therapie der Defizite zuzulassen. Daher ist die Arbeit mit den kognitiven Stärken genauso wichtig, wie die Konzentration auf die Besserung kognitiver Defizite. Bei Erkrankungen wie der Alzheimer Demenz ist es sogar äußerst problematisch, kognitive Defizite angehen zu wollen. Hier liegt der therapeutische Schwerpunkt eindeutig nicht im Training verlorener Gedächtnisfunktionen, sondern im Fördern der Gebiete, in denen der Patient noch kompetent ist, also im Vermitteln von Erfolgserlebnissen, in der Erhöhung des Selbstwertgefühls und in der Verbesserung der subjektiven Kompetenz (Baltes und Baltes, 1990, Ermini-Fünfschilling, 1995). Respekt vor der Autonomie und Persönlichkeit des Patienten Wesentlich für das Erzielen von Erfolgserlebnissen ist der Respekt vor der Autonomie und der Persönlichkeit des Patienten. Auch aus diesem Grunde verbietet sich ein wie auch immer geartetes abfragerisches „dressurartiges“ Vorgehen. Beim Training mit Erwachsenen ist also immer sicherzustellen, dass der Wille des Patienten jederzeit respektiert wird, anders ausgedrückt: auch bei einem Gruppentraining dürfen sich niemals ein wie auch immer gearteter „Beteiligungszwang“, „Abfragesituationen“ oder Blamagesituationen für den Patienten ergeben, der Patient muss jederzeit die Möglichkeit haben, sich nicht direkt zu beteiligen und auch einmal „nur“ zu denken, ohne dies sofort der Umwelt mitteilen zu müssen (Stengel, F., 1997). Ein solch autonomiezentriertes Vorgehen vermindert Stress und Leistungsdruck und ermöglicht auf diese Weise erst ein effektives kognitives Training (Willis, 1985). Dabei erfüllt es auch die ethische Forderung nach Respekt vor der Persönlichkeit und Lebensgeschichte eines jeden Patienten. Therapiematerial altersgemäß einsetzen Daraus folgt auch, dass Therapiematerial, das für Kinder geeignet ist, meist nicht für Erwachsene eingesetzt werden sollte (z.B. Reihumspiele in Gruppen oder Memory-Spiele in der Gruppe: einseitige Förderung der Merkfähigkeit von visuellem Material, dressurartiges Vorgehen, respektiert das Selbstbild erwachsener Patienten nicht, da erkennbar ist, dass es sich um ein Kinderspiel handelt, Stress wird ausgeübt, Konkurrenzsituationen ergeben sich usw....). Umgekehrt kann jedoch Therapiematerial für Erwachsene je nach kognitivem Entwicklungsstand behutsam auch für Kinder und Jugendliche eingesetzt werden. Kein themenzentriertes Vorgehen Hält man sich vor Augen, dass ein reifes Gehirn anders denkt als ein wachsendes Gehirn, dass ein reifes Gehirn bereits über eine ausgebildete semantische Begrifflichkeit verfügt, die ein wachsendes Gehirn erst noch ausbilden muss, so folgt daraus, dass für das kognitive Training mit Erwachsenen andere Ziele gelten als für das Training mit Kindern und Jugendlichen. Bei Erwachsenen steht niemals eine wie auch immer geartete Wissensvermittlung im Vor-dergrund, da erwachsene Patienten bereits über ein ausgebildetes semantisches Begriffsnetz verfügen. Es geht vielmehr darum, die vorhandene Begrifflichkeit besser verfügbar zu machen und aktiviert zu halten („aufzufrischen“) und über Strukturieren und Begriffsklä-rung das semantische Begriffsnetz zu ordnen. Selbstverständlich wird auch hierbei neues Wissen erworben, dies geschieht jedoch immer sozusagen nebenbei und niemals schulisch. Themenzentrierte Vorgehensweisen sind aus therapeutischer Sicht weniger empfeh-lenswert. Hierbei zeigt das Thema schon von sich aus die Richtung, in die gedacht werden soll. Dies schränkt die Denkflexibilität semantisch-inhaltlich und vom zeitlichen Ablauf her ein. Die fluide Intelligenz wird zu wenig trainiert, was jedoch bei Erwachsenen und Senioren von großer Wichtigkeit ist, denn gerade hier liegen oftmals Defizite vor (s.o.). Wei-terhin besteht bei Wahl eines ungeeigneten Themas die Gefahr, dass sich einzelne Patienten aus der Gruppe „ausklinken“, weil dieses bestimmte Thema sie nicht interessiert. Bei diesen Patienten wird die Chance zur kognitiven Aktivierung vertan. Weiterhin weiß man, dass das Gehirn alles, was um uns herum geschieht, vorausberechnet (Spitzer, 2000). Solange das re-gistrierte Muster dem erwarteten entspricht, bleibt die automatisierte Aufmerksamkeit aktiviert. Während Sie diesen Artikel lesen, trinken Sie möglicherweise gerade eine Tasse Kaffee. Dabei haben Sie sicherlich nicht genau registriert, wie oft Sie die Tasse zum Mund geführt haben. Erst wenn Ihre Tasse leer ist, werden Sie aufmerksam und füllen sie nach. Vereinfacht dargestellt registrieren beim themenzentrierten Vorgehen die Gehirne der Patienten also nur, ob das, was inhaltlich erwähnt wird, zum Thema passt oder nicht. Solange das Registrierte zum Thema passt, ist für die Patienten sozusagen alles „in (scheinbarer) Ordnung“, die automatisierte Aufmerksamkeit ist aktiv, nicht jedoch die selektive Aufmerksamkeit. Deren Aktivierung ist jedoch die Vorbedingung für aktives Denken und Lernen (Spitzer, 2000). Dies bedeutet, dass themenzentriertes Vorgehen nicht so effektiv kognitive Funktionen fördert wie nicht themenzentriertes. Daher ist auch aus neurophysiologischer Sicht themenzentriertes Training als suboptimal anzusehen in Bezug auf den Aktivierungsgrad kognitiver Funktionen. Daneben birgt jedes themenzentrierte Vorgehen immer die Gefahr, Wissen vermitteln zu wollen und damit schulisch zu agieren anstatt gezielt mittels verschiedener Übungsformen verschiedene Hirnleistungen zu fördern. Wir treffen daher themenzentriertes Vorgehen auch bevorzugt dort an, wo es um Wissensvermittlung geht, also beispielsweise in der Schule. In der Therapie von Hirnleistungsstörungen steht jedoch keinesfalls ein pädagogisches Denken im Sinne einer optimalen Wissensvermittlung im Vordergrund, hier ist vielmehr das typisch therapeutische Denken bezüglich einer optimalen Förderung von kognitiven Funktionen mittels eines definierten Trainings dieser Hirnleistungen gefordert. Bei Kinder und Jugendlichen steht das Bemühen im Vordergrund, den Aufbau eines möglichst tragfähigen semantischen Wissens zu fördern. Hier gilt es auch, semantische Begriffsfelder zu entwickeln, als Grundlage eines möglichst lebenspraktisch anwendbaren deklarativen Wissens und Gedächtnisses. Bei der Therapie von Kindern und Jugendlichen sind also kognitive Strategien und Arten des Denkens, die einen möglichst rationellen Aufbau eines solchen semantischen Netzwerkes ermöglichen, zu fördern wie auch lernfördernde Verhaltensweisen überhaupt. Hier wird schon auch Wissen vermittelt (selten vielleicht auch einmal „themenzentriert“), auch hier steht jedoch die Förderung kognitiver Funktionen immer im Vordergrund, nicht Wissensvermittlung. Nur mit sinnhaftem, sprachlich korrektem Material arbeiten Eine weitere Forderung namhafter Psychologen und Neuropsychologen lautet, nur mit sinn-haftem Material zu arbeiten, d. h. dass das verwendete Material einen Bezug zum täglichen Leben der Patienten haben soll (Lehr, 1972, Poon, 1985, Kolb, B., Wishaw, I.Q., 1996). An-sonsten wenden sich Erwachsene dem Training nicht intensiv genug zu, wodurch der Thera-pieerfolg eingeschänkt werden kann. Aus diesem Grund ist beispielsweise auch die Verwendung von Zahlenreihen als Trainingsmaterial, wie sie in psychologischen Tests zur zielgerichteten Diagnostik von kognitiven Defiziten verwendet werden, zumindest als problematisch zu be-trachten. Bei jedem verwendeten Therapiematerial ist zu beachten, dass es einerseits evaluiert sein muss (s.o.) als auch darauf, dass es sich um sprachlich einwandfreies Material handelt. Gerade bei Patienten mit Hirnleistungsstörungen ist oftmals das semantische Begriffsnetz unscharf oder in Gefahr, „in Unordnung“ zu geraten (Goldenberg, G. 1997). Wird dann auch noch sprachlich unscharfes Material verwendet, wie man es oft als Laienmaterial selbst in Fachzeitschriften findet, besteht die Gefahr, die semantische Begrifflichkeit des Patienten unbeabsichtigt noch weiter in Unordnung zu bringen anstatt ihm bei der Klärung von Begriffen und damit bei der korrekten Aktivierung des eigenen Begriffsnetzes zu helfen. Insbesondere die Verwendung verschiedener Sprachebenen und / oder falsch oder unscharf angewandter Begrifflichkeit kann für den Patienten mehr Verwirrung stiften als zur kognitiven Förderung beitragen (Beispiel: in Kreuzworträtseln wird ein anderer Begriff für „einsam“ gesucht. Es soll der Begriff „allein“ eingesetzt werden, was semantisch nicht korrekt ist und bei der späteren Verwendung der entsprechenden Begriffe zu sprachlichen Unschärfen und damit zu kommunikativen Problemen führen kann). Wenn man sich vor Augen hält, dass beispielsweise bei einer Alzheimer-Demenz nach und nach Teile des Begriffsnetzes verloren gehen bzw. unscharf werden, eine Kommunikation mit anderen Menschen jedoch hauptsächlich über Sprache stattfindet, wird deutlich, dass die sprachliche Qualität des Therapiematerials überaus wichtig für einen Thera-pieerfolg ist. Vertiefte Informationsverarbeitung fördern Frühere psychologische Untersuchungen zeigten, dass Erwachsene bzw. Senioren neue In-formationen nicht genügend tief verarbeiten und sich daraus kognitive Probleme ergeben können. Daher wurde schon früh gefordert, dass ein kognitives Training unbedingt eine vertiefte Informationsverarbeitung fördern muss (Craik and Lockhart, 1972). Gerade diese Forderung wird jedoch durch quizartiges Vorgehen nicht erfüllt. Es ist also neben der Gefahr von Stress und Leistungsdruck auch aus diesem Grund für therapeutische Zwecke abzulehnen. En- und Dekodierungsstrategien vermitteln Neben der Förderung einer vertieften Informationsverarbeitung ist es auch wichtig, Strategien für die En- und Dekodierung zu vermitteln, die als Kompensationsstrategien für verminderte Merkfähigkeit eingesetzt werden können (Willis, 1985). Soziale Kontakte fördern Bei genauer Betrachtung der Heilmittel-Richtlinien fällt auf, dass die Förderung kognitiver Funktionen und damit das Hirnleistungstraining nicht als therapeutisches Ziel für sich allein steht, sondern immer im Dienste der Verbesserung der Beziehung Patient – Umwelt zu be-trachten ist. Möglichst gut funktionierende kognitive Fähigkeiten, wie zu denken, Informationen zu verarbeiten, mit anderen zu kommunizieren sind die Voraussetzung dafür, dass die Menschen handelnd möglichst selbstständig in einem sozialen Netz leben können. Hirnleistungstraining ist daher niemals Selbstzweck. Es geht immer vor allem darum, mittels des kognitiven Trainings „Verbesserungen im Verhalten und in den zwischenmenschlichen Beziehungen, der sozio-emotionalen Kompetenzen, der Interaktionsfähigkeit, des situationsgerechten Verhaltens, der Beziehungsfähigkeit“ zu erzielen. Was liegt also näher, als die Therapie kognitiver Funktionen mit den vom Heilmittelkatalog beschriebenen Zielen im zwischenmenschlichen Bereich zu verbinden und das Training in einem definierten sozialen Kontext so kommunikativ wie möglich durchzuführen (Ziel: Auch Sprache als unentbehrliches Mittel der zwischenmenschlichen Kommunikation und Beziehungfähigkeit fördern). Dies wird zunächst in der Einzeltherapie in der direkten Beziehung TherapeutIn – PatientIn geschehen, ergänzt bzw. abgelöst von der Therapie in der Gruppe, die es ermöglicht, direkt im sozialen Kontext kognitive Funktionen in ihrer Bedeutung für die Beziehungs- und Handlungsfähigkeit zu fördern. Damit spielt der gut ausgebildete, kompetente Therapeut als therapeutisch tätiger und helfender Mitmensch eine zentrale Rolle im Bestreben, diese Ziele der Heilmittel-Richtlinien zu erreichen. Daraus folgt, dass Hirnleistungstraining am Computer die oben zitierten Ziele der Heilmittel-Richtlinien niemals für sich allein erfüllen kann. Es ist daher als alleinige Maßnahme zum Hirnleistungstraining abzulehnen. Zur therapeutischen Ergänzung eines im sozialen Kontext durchgeführten Hirnleistungstraining ist Training am Computer bei bestimmten therapeutischen Zielen (z.B. Training räumlicher Fähigkeiten) jedoch sicherlich sinnvoll. Beispiel für eine evaluierte Methode des Hirnleistungstrainings / Kognitiven Trainings, die alle Standards erfüllt: Als Methode, die sämtliche der genannten therapeutischen Standards erfüllt, wird auf das Kognitive Training von Dr. med. Franziska Stengel® hingewiesen. Es handelt sich um ein gesundheitsorientiertes Training kognitiver Funktionen, wie Funktionen der Wahrnehmung, der Informationsverarbeitung, des Denkens und des Gedächtnisses mit Hilfe von Fragestellungen und Inhalten aus dem täglichen Leben. Die Ärztin, Psychologin und Soziologin Dr. med. Franziska Stengel entwarf diese Form des Kognitiven Trainings zunächst für Senioren zum Selbsttraining zu Hause (Stengel, 1976), entwickelte es in den letzten zehn Jahren jedoch zusammen mit anderen Ärzten weiter für therapeutische Zwecke (Stengel, 1996, 1997, 1998, 1999, Ladner-Merz, S., 1996). Es ist eines der wenigen fremdevaluierten neuropsychologischen Verfahren (Michelfelder, 1994). Das „Kognitive Training von Stengel®“ besteht aus drei Therapiekomponenten, die immer gemeinsam eingesetzt und je nach Therapieziel aufeinander abgestimmt werden: einer speziellen erwachsenengerechten Pädagogik (Ziel: Vermeidung von „Schule“ oder „Quiz“), einer zielgerichteten Methodik der Übungsauswahl (je nach Therapieziel allgemein geistig aktivierend, symptomorientiert oder umgekehrt symptomo-rientiert) und aus analysiertem, zielgerichtet einsetzbarem Therapiematerial in verschiedenen Schwierigkeitsstufen. Die Stengel-Pädagogik beinhaltet eine spielerische Vorgehensweise, die einerseits jeden Stress und Leistungsdruck vermeidet und andererseits eine optimale Förderung kognitiver Funktionen und der vertieften Informationsverarbeitung des Patienten ermöglicht. Auch fördert die Stengel-Pädagogik soziale Kontakte innerhalb einer Gruppe, was für die Förderung der Beziehungsfähigkeit des Patienten besonders wichtig ist. Gleichzeitig wird größter Wert gelegt auf eine patientenzentrierte, autonomiezentrierte und auf Respekt vor dem Patienten basierende therapeutische Haltung. Die Anwendung kognitiver Strategien bzw. von En- und Dekodierungsstrategien wird im Übungstransfer in den Alltag aufgezeigt und eingeübt. Beim Kognitiven Training von Stengel® ist das therapeutische Medium die Sprache. Daher wird in der Einzeltherapie, mehr jedoch noch in der Gruppentherapie, auch die Kommunikations- und Kontaktfähigkeit zu anderen Menschen als Grundlage eines selbstbestimmten Lebens im Einklang mit der Umwelt gefördert. Kognitives Training von Stengel® wird in der Therapie und Rehabilitation von Erwachsenen mit Hirnleistungsstörungen (Ladner-Merz, S., 1998, 1999) wie auch in der Therapie von Kindern und Jugendlichen eingesetzt (Ladner-Merz, S., 2000). Therapie und Rehabilitationskonzept „Die Fünf Säulen des Kognitiven Trainings“ An der Akademie für Gedächtnistraining nach Dr. med. Franziska Stengel in Stuttgart wird im Rahmen der Weiterbildung zum/zur FachtherapeutIn für Kognitives Training das Rehabi-litationskonzept der „Fünf Säulen des Kognitiven Trainings“ vermittelt, das eine Therapie gemäß den Zielen des neuen Heilmittelkataloges ermöglicht: Zu den bereits genannten drei „Säulen“ „Kognitives Training von Stengel®“, „Kognitive Strategien / Mnemotechniken“, „Äußere Gedächtnishilfen“ gehört das kognitiv-programmierte Verhaltenstraining des Pati-enten, basierend auf einer Lebensraumanalyse, und die Angehörigenberatung und –anleitung (Ladner-Merz, S., 1999). Auf diese Weise werden kognitive Funktionen als Grundlage selbstbestimmten Handelns und der Interaktion mit der Umwelt genauso gefördert wie das Verhalten direkt über das Einüben und Prozeduralisieren der für den Patienten notwendigen Handlungen. Nach genauer Diagnostik erfolgt die Therapieplanung mit Hilfe der „Fünf Säulen des Kogni-tiven Trainings“, die damit inhaltlich alle geforderten und dargelegten therapeutischen Standards erfüllt, und eine Therapieverlaufskontrolle und –dokumentation, die für eine fortgesetzte Verschreibung von Hirnleistungstraining / Kognitivem Training notwendig ist. Alle Bemühungen, in Zukunft Hirnleistungstraining / Kognitives Training mit evaluierten Methoden, die die genannten Standards erfüllen, durchzuführen, werden die Akzeptanz dieses so wichtigen Therapiegebietes fördern und dazu beitragen, dass in Zukunft mehr Patienten von einer solchen Therapie profitieren können. Dr. med. S. Ladner-Merz Fachärztin für Allgemeinmedizin und Ärztliche Leiterin der Akademie Dr. med. A. Konzelmann S. Dantz, Fachärztin für Allgemeinmedizin Korrespondenzanschrift der Verfasser: Akademie für Kognitives Training nach Dr. med. Franziska Stengel Nöllenstr. 11 70195 Stuttgart
    Tel.: 0711/6979806, Fax.: 0711/ 6979808, e-Mail: info@kognitives-training.de



    © Dr. med. Sabine Ladner-Merz, Dr. med. A. Konzelmann, S. Dantz, Fachärztinnen für Allgemeinmedizin, Stuttgart, 2001

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