Die Fünf Säulen eines Kognitiven Training nach Schlaganfall oder bei Demenz

Die Fünf Säulen eines Kognitiven Trainings nach Schlaganfall oder bei Demenz –
KT nach Stengel, kognitive Strategien und Mnemotechniken, äußere Gedächtnishilfen, Verhaltenstraining nach Lebensraumanalyse und Angehörigenberatung und –anleitung


(unkorrigierte Vorfassung des im Juli 1999 in der Zeitschrift „Ergotherapie & Rehabilitation“ erschienen Artikels „Die Fünf Säulen eines kognitiven Trainings nach Schlaganfall oder bei Demenz“ von Dr. med. Sabine Ladner-Merz)

Kognitives Training nach Schlaganfall zur Kompensation verlorener kognitiver Funktionen und zur Stabilisierung und optimalen Ausnutzung der kognitiven Reservekapazität erhält einen immer größeren Stellenwert im Rahmen eines multimodalen Behandlungskonzeptes. Denn das Gehirn verfügt über eine bedeutend größere funktionelle und struktrurelle Plastizität als man dies noch bis vor wenigen Jahren angenommen hat. Die neuronale Plastizität des Gehirns ist Grundlage der lebenslangen funktionellen Anpassungsfähigkeit des Organismus an seine Umgebung. Das Gehirn entwickelt sich also ein Leben lang. Spezifisches Training oder spezifische Aktivität des Individuums entscheiden darüber, ob die mit einer bestimmten Funktion in Verbindung stehenden Synapsen neu gebildet, aufrechterhalten oder aufgelöst werden (z.B. Merzenich et al., 1990, Swaab, 1991). Der Gebrauch einer Synapse entscheidet also über ihre strukturelle Integrität (Hebb, 1949, von der Mahlsburg, 1983, Flohr, 1991, 1992). Für Synapsen gilt also sozusagen: „Ich denke, also bin ich!“
Die Fähigkeit zur Neubildung von Synapsen und damit zur Reorganisationsfähigkeit neuronaler Netze als Grundlage der neuronalen Plastizität bleibt bis ins Alter erhalten (Bauer, J., 1994). Nicht-Demente zeigen sogar eine altersbegleitende Zunahme der neuronalen Plastizität (Buell und Coleman, 1979, 1981).
Im Falle einer Läsion des Gehirns z.B. im Rahmen eines Gefäßverschlusses ermöglicht die postlä-sionelle Plastizität der menschlichen Hirnrinde eine Funktionssubstitution sensomotorischer Integ-rationsleistungen (Seitz, R. J., 1997a, 1997 b). Aus der stimulationsbedingten Beeinflußbarkeit der Neuroplastizität ergeben sich neue therapeutische Perspektiven und Strategien zur Behandlung neu-rologischer Patienten und Hirnverletzter z.B. ein kognitives Training der verschiedensten Denk- und Gedächtnisfunktionen.
Im folgenden soll ein ganzheitliches Konzept für ein solches kognitives Training, das auch z.B. im Anfangsstadium einer Demenz zur Verzögerung des kognitiven Leistungsabfalls eingesetzt werden kann, vorgestellt werden.

Die „Fünf Säulen des Kognitiven Trainings“ bestehen aus
1. Kognitives Training von Dr. med. Franziska Stengel,
2. in diese Trainingsform eingebettete kognitive Strategien und Mnemotechniken,
3. gezielt eingesetzten äußeren Gedächtnishilfen,
4. Verhaltenstraining des Patienten und
5. der Angehörigenberatung und -anleitung.

Die erste Säule des kognitiven Trainings bildet das evaluierte Kognitive Training von Stengel (Mi-chelfelder, H., 1994, Stengel, F., 1976, 1996, 1997), das beispielhaft wichtige Anforde-rungen an ein Trainingsprogramm für Ältere erfüllt (Ladner-Merz, S., 1996). Es ist als eines der ganz wenigen psycholgischen Trainingsverfahren fremdevaluiert und erfüllt alle wissenschaftlichen Standards für ein solches Training. Gedächtnistrai-ning von Stengel wird je nach Bedarf mit allgemein aktivierendem Ansatz oder als symptom-orientiertes Training (Stengel, F., 1996) eingesetzt. „Allgemein geistig aktivierend“ bedeutet, daß möglichst breit möglichst viele kognitive Funktionen gefördert werden sollen, während beim symptomorientierten Training nach genauer Analyse der kognitiven Fähigkeiten und Defizite des Patienten gezielt bestimmte Übungen aus dem Trainingsprogramm von Stengel ausgewählt und durchgeführt werden. Dabei steht ein motivierendes, spielerisches Vorgehen mit Hilfe einer von Stengel entwickelten erwachsenengerechten Pädagogik im Mittelpunkt (Stengel, F. 1997). Bei Patienten mit Demenz wird ein allgemein geistig aktivierendes Vorgehen im Rahmen eines gesprächsbetonten Dialogtrainings bevorzugt (Ladner-Merz, S., 1998), während bei Patienten nach Schlaganfall im Hinblick auf eine möglichst optimale Rehabilitation das symptomorientierte Vorgehen im Vordergrund steht.

Aus den verschiedenen Übungen ergeben sich dann die unterschiedlichsten kognitiven Strategien und Mnemotechniken (siehe Stengel, F. 1997), die als zweite Säule im Rahmen des „Übungstransfers in den Alltag“ dazu beitragen sollen, kognitive Strategien einzuüben, die dann kompensatorisch und alltagsgerecht vom Patienten eingeübt und eingesetzt werden können.
Das Anwenden und Einüben des Gebrauchs äußerer Gedächtnishilfen als dritte Säule eines kogni-tiven Trainings ist sehr wichtig. So kann ein zielgerichtete Einsatz äußerer Gedächtnishilfen wie z.B. verschiedene Zeitplaner, Kalender, Wecker, Handlungsanweisungen, Handlungstafeln, spezielle Computerprogramme Patienten oftmals über einen längeren Zeitraum ein möglichst selbständiges Le-ben zu Hause ermöglichen.

Die vierte Säule des kognitiven Trainings besteht aus einem Verhaltenstraining des Patienten. Dieses Verhaltenstraining bezieht sich einerseits auf eigene, die kognitive Leistungsfähigkeit be-einträchtigende psychische Verhaltensweisen des Patienten und besteht andererseits nach einer aus-führlichen Lebensraumanalyse u.a. auch unter Zuhilfenahme des geriatrischen Assessments aus ganz unmittelbarem Training und Einüben bestimmter praktischer Handlungen (implizites Gedächtnis) z.B. bei apraktischen Patienten.
Mit Hilfe eines „Gedächtnistagebuches“ wird analysiert, in welchen Situationen ein Patient kognitive Probleme hat, welcher Art die Probleme sind und wie der Patient und seine Umgebung auf diese Probleme reagieren. Oft verstärkt der Patient seine kognitiven Probleme selbst, indem er sich unter Druck setzt und dadurch seine Streßsituation verstärkt. Eine solche Verhaltensweise wiederum be-günstigt Denkblockaden und wirkt damit negativ auf die geistige Leistungsfähigkeit. Daher ist es wichtig, solche Streßsituationen und kognitiv-beeinträchtigenden Verhaltensweisen zu erkennen und z.B. mittels Autosuggestion abzuschwächen.
Der Einsatz eines „Gedächtnistagebuches“ deckt häufig auch inadäquate und die kognitiven Fähig-keiten der Patienten beeinträchtigende Verhaltensweisen von Angehörigen auf. Überbehütendes Verhalten beispielsweise führt dazu, daß beispielsweise Angehörige für Patienten denken und ant-worten. Dies wiederum hat zur Folge, daß die Angehörigen aufgrund der vermehrten kognitiven Beanspruchung geistig immer aktiver werden, während sich im Gegenzug kognitive Defizite bei den Patienten verschlimmern. Denn indem Patienten von wohlmeinenden Angehörigen am (langsamen) Denken gehindert werden, treten zu organisch bedingten kognitvien Defiziten auch Defizite „mangels Übung“ hinzu. Angehörige sollen in solchen Fällen im Rahmen der fünften Säule des kognitiven Trainings, der Angehörigenberatung und -anleitung, in Verhaltensweisen bestärkt werden, die das Denken der Patienten fördern und den Patienten den „Denkstreß“ nehmen. Angehörige sollen also lernen, zu pflegende Angehörige zum streßfreien Denken in alltäglichen Situationen anzuregen und nicht zu blockieren.
Selbstverständlich gehört hierzu auch eine Aufklärung des Patienten und seiner Angehörigen über Art und Symptomatik des jeweiligen Krankheitsbildes, dessen Therapie und die Ziele, die verfolgt werden und nicht zuletzt eine realistische und dennoch mutmachende Einschätzung der Prognose eines Patien-ten.

Nach dem vorgestellten ganzheitlichen therapeutischen Konzept eines kognitiven Trainings werden an der Akademie für Kognitives Training nach Dr. med. F. Stengel in Stuttgart Therapeuten wie z.B. Ergotherapeuten , Ärzte, (Neuro-) Psychologen aus der ganzen Bundesrepublik und dem deutsch-sprachigen Ausland ausgebildet. Es versucht, möglichst viele Ansatzpunkte zur Rehabilitation kog-nitiver Fähigkeiten und zur Kompensation verlorener geistiger Fähigkeiten zu berücksichtigen.

Anschrift der Verfasserin:
Dr. med. S. Ladner-Merz
Ärztl. Leiterin
der Akademie für Kognitives Training
nach Dr. med. Franziska Stengel
Nöllenstr. 11

70195 Stuttgart

© Dr. med. Sabine Ladner-Merz, Stuttgart


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